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Keine versponnenen Jungakademiker

„Best Practice“-Universitätsprojekt findet Eingang in KMK/HRK-Studie


Das Projekt „Schüler an der Universität“ der Universität hat Eingang in eine Untersuchung der Kultusministerkonferenz (KMK) und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gefunden, in der Initiativen zur Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses an der Schnittstelle Schule-Hochschule betrachtet werden. Die von Michael Ley (Universität Bonn) verfasste Studie beschreibt beispielhafte Projekte, zu denen er auch das Kölner Förderungsmodell zählt. Der Koordinator des Projektes „Schüler an der Universität“, Dr. Ulrich Halbritter vom Mathematischen Institut, hat den folgenden Beitrag verfaßt.


  Die soeben erschienene Studie von KMK und HRK hat zum Ziel,
 „... positive Ansätze der Zusammenarbeit Schule und Hochschule zu systematisieren, um auf diese Weise im Sinne von „best practice“ Anregungen für weitere Initiativen zu geben“, so Dr. Annette Schavan, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, und Professor Dr. Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, im Vorwort zu der von ihnen in Auftrag gegebenen Studie über Initiativen zur Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses.

Gefahr eines Kreislaufs

  Seit Jahren geht die Zahl der naturwissenschaftlichen Leistungskurse in den Schulen zurück. Nur wenige Studierende absolvieren die entsprechenden Lehramtsstudiengänge. Diese Entwicklung bereitet nicht nur den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, in Schulen und Hochschulen Sorge. Die Gefahr eines Kreislaufs zeichnet sich ab: weniger Lehrer – wenig naturwissenschaftlicher Unterricht – wenig Interessenförderung in den Schulen – wenige Studenten in den einschlägigen Fachrichtungen. Die Folge: die hochtechnisierte, auf Innovationen angewiesene Bundesrepublik schöpft ihre Kraft aus einem Reservoir, das sich nicht mehr füllt.
   Schulen und Hochschulen haben das Problem erkannt. Die Studie von KMK und HRK listet über 50 Initiativen auf, die sich bemühen, Abhilfe zu schaffen. Von 120 untersuchten Projekten wurden insbesondere die aufgenommen, die aktiv von den Hochschulen oder Forschungseinrichtungen ausgehen und nicht im Rahmen staatlicher Fördermaßnahmen initiiert werden, auf Dauer angelegt sind und nicht lediglich zeitlich begrenzte Einzelmaßnahmen umfassen und schon seit einiger Zeit und mit gutem Erfolg durchgeführt werden und die Planungsphase überschritten haben.
   Von den Kölner Initiativen wurde das Projekt „Schüler an der Universität“ ausgewählt, das im Wintersemester 2000/2001 gemeinsam mit der Kreissparkasse Köln zur Förderung naturwissenschaftlich begabter Schüler eingerichtet wurde. Begabtenförderung – nicht nur in den Naturwissenschaften – ist in jüngster Zeit zu einem wichtigen Thema in der bildungspolitischen Diskussion geworden.
  Bildungspolitiker „entdecken“ hier ein Potential, dem sehr lange zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Leider konzentrieren sich die Betrachtungen nur allzu oft auf die Frage, ob es Profilklassen oder generell 12 Schuljahre bis zum Abitur geben sollte. Das trifft aber nicht den Kernpunkt des Problems – auch in Klassen, die nach 12 Jahren die Reifeprüfung ablegen, gibt es unterforderte Schüler.

Mit Bravour

  Welchen Beitrag können Hochschulen leisten, um Abhilfe zu schaffen, um unter den interessierten Schülern wenigstens die Begabten zu fördern? Hier setzt das Projekt ein, welches die Universität zu Köln und die Hochbegabtenstiftung der Kreissparkasse ins Leben gerufen haben. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe von Gymnasien und Gesamtschulen der Kölner Region können auf Vorschlag ihrer Schule an Anfängervorlesungen der Studiengänge Mathematik, Physik, Chemie und Informatik teilnehmen. Da diese vormittags stattfinden, müssen die Schüler hierfür vom regulären Unterricht beurlaubt werden und den versäumten Schulstoff eigenverantwortlich nacharbeiten, oft unterstützt durch verständnisvolle, engagierte Lehrer. An der Universität besuchen sie die gleichen Vorlesungen und Übungen wie ihre Kommilitonen mit Abitur, mit einem Unterschied: z. B. in Mathematik hören sie nur eine der beiden Standardvorlesungen für Anfänger, nämlich Lineare Algebra oder Analysis. Ähnliches gilt für die anderen Fächer. Das entspricht einer 50-prozentigen Belastung, verglichen mit den regulären Erstsemestern, als zusätzliche Belastung zur Schule. Da stoßen manche (hoch-) begabte Oberstufenschüler schon an ihre Grenzen, andere dagegen bewältigen das Programm mit Bravour.
  Dabei stellt man im persönlichen Gespräch fest: Das sind keine versponnenen Jungakademiker, sondern vielseitig interessierte, weltoffene junge Menschen, die einfach mehr verkraften können – und wollen – als andere. Sie selbst lehnen übrigens den Ausdruck "Hoch-begabte" ab, ja, begabt seien sie schon, geben sie zu, aber hoch-begabt oder Elite, das wollen sie nicht hören. Sie wollen nur ihren naturwissenschaftlichen Interessen in einem Maße nachgehen, das die Möglichkeiten der meisten Schulen überfordert, der Universität dagegen hochmotivierte Hörer zuführt.

Viel moralische Unterstützung

  So kann die Kölner Universität nach drei Semestern auf ein neues Modell der Begabtenförderung im naturwissenschaftlichen Bereich verweisen, das wenig Geld, statt dessen viel moralische Unterstützung durch verständnisvolle Eltern, Lehrer und Dozenten erfordert. Aber es lohnt sich für alle Beteiligte. Das haben auch das Ministerium, die Schulbehörden und andere Universitäten erkannt. Bleibt zu hoffen, dass außer den Universitäten Bonn, Duisburg und Kiel, die das Projekt ebenfalls eingerichtet haben, und der RWTH Aachen und der Universität Bochum, die es aller Voraussicht nach zum Wintersemester 2002/2003 einführen, auch andere Hochschulen diese Idee aufgreifen. Begabte Jugendliche, die nicht allzu fern von einer Hochschule wohnen, werden es ihnen danken. Selbstverständlich kann dieses Projekt andere Förderungsmaßnahmen nicht ersetzen – dazu setzt es zu spät ein. Der KMK/HRK-Studie sind noch viele Anregungen zu entnehmen, wie die Förderung von Schülern nahezu jeder Altersklasse aussehen könnte. Aber das Kölner Projekt hat seine Erprobungsphase bereits hinter sich und kann andere Initiativen sinnvoll ergänzen. Man sollte diese Chance, leistungsbereite junge Menschen zu fordern und zu fördern, nicht ungenutzt lassen.
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