Einer Meiner
Aus dem Album Unter'm Wurstjoch.
"Einer Meiner" — der Titel des Liedes, der sich anhört wie die lausbübische Verunglimpfung des nordischen Namens "Einar", hat ebensowenig mit dem norwegischen Biathlet Ole Einar (Meinar) Bjoerndalen, wie dem Liedtext zu tun.
Drei Personen, Späher, Bäcker und Wirt, treten auf. Da sie nicht wirklich in Kontakt zueinander treten (der Späher erspäht den Bäcker nur und daß die Rechnung zusammen mit dem Wirt zu schreiben ist, ist wohl nicht wortwörtlich zu nehmen) kann nicht davon ausgegangen werden, daß Beziehung, Freundschaft oder gar Liebe Thema dieses Stücks sind.
Bei näherer Betrachtung der Personen fällt auf, daß sie bei der Verrichtung ihrer jeweiligen Profession dargestellt werden: Der Späher sucht, der Bäcker formt die Brötchen und der Wirt schreibt eine Rechnung aus. Einer meiner Meinungen nach, stellt dieses Dreigestirn eine Vertretung der Arbeiterklasse dar.
Obwohl diese Vertretung ausschließlich aus männlichen Personen besteht, soll das weibliche Proletariat nicht vernachlässigt werden: Finden die Friseurinnen auch nur als Ergebnis der Arbeit des Spähers (er erspäht sie) Erwähnung, so sind sie doch eindeutig als vierte eigenständige Berufsgruppe auszumachen.
Wir haben es hier mit Beispielen ungeliebter, harter "Knochenjobs" zu tun: Das frühe Aufstehen des Backenden, das lange Aufbleiben der Bewirtenden, das permanente Stehen der Frisierenden und das stete angestrengte Spähen der Spähenden (man glaubt einem (meinem) vielen die Augen aus dem Kopf) sind Tätigkeiten, mit denen sich niemand gern die Finger oder Augen schmutzig macht.
Auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft angewiesen, mühen sich diese Arbeitenden redlich, ihr Werk gut zu vollbringen, um in der Gesellschaft bestehen zu können.
Der variierende Refrain, der eine Aufforderung zur Ausübung der jeweiligen Arbeit enthält, kann auf zweierlei Weise verstanden werden: Als Befehl des knechtenden Großkapitalisten, zu dessen Gunsten diese Menschen ihre Arbeit verrichten, aber auch, und das liegt bei Betrachtung der abschließenden Zeile nahe, als anerkennender Dank der Gesellschaft, die auf die Arbeiterklasse angewiesen ist.
Denn die Welt funktioniert (geht) nicht ohne die Arbeitenden.
Der aus wortspieltechnischem Verlangen heraus entstehende, mahnend erhobene Zeigefinger (spät backen wird hier nicht gekürt) piekst und knufft das Proletariat wohl eher freundschaftlich in Seite, als daß er in die vom Kapital gerissene Wunde gelegt wird. Er sollte als freundliches Zwinkern vom Spähen entzündeter Augen gewertet werden.
Darum erhebt dieses Schlußstatement "Einer Meiner" zu einem textlichen Arbeiterdenkmal, das die Bedeutung der Arbeiterklasse aufzeigt und Dank sagen, Trost spenden und Mut machen soll.
Macht der Titel "Einer Meiner" vom musikalischen Standpunkt aus betrachtet mehr Sinn?
Die zum zuckenden Ausdruckstanz anregende Vertonung der Strophen besteht aus drei eigenständigen Melodien von Bass, Gitarre und Orgel über die ein dreitöniger Gesang geführt wird. Die starke Rhythmisierung der Melodien, die durch das Schlagzeug noch verstärkt wird, erinnert an die Besichtigung einer Grotte: Das rhythmische Plätschern in einer Trofsteinhöhle und dessen Widerhall durch Echo, scheint den erzeugten Klängen verwandt zu sein.
Ein konservativer Dreivierteltakt, der musikalisch keine Überraschung, außer eine sich zeitweise in den unendlichen Weiten des unterirdischen Stollengeflechts verlierende dritte Gesangsstimme, bereithält, markiert den Refrain und jene Stellen, an denen Tageslicht in die Höhle einfällt.
Und welch wunderbares Erlebnis, wenn ein Gang in eine Halle mündet. Der Hörer hat dieses Glück: Drei Töne ersteigt er und findet sich plötzlich wieder inmitten einer Großen Ballade, aus der noch etwas hätte werden können, doch die Zeit drängt und wir müssen gehen.
Vor dem Ausgang bleiben Gliedkuchen musikalisch noch einmal kurz stehen (ein einfacher Gesang über einfache Akkorde), wie um den Ausflug zu resümmieren und durch einen letzten Höhlengang geht es hinaus.
Wahrscheinlich erzeugt das blendende Sonnenlicht den Laut, mit dem das Lied endet: Ängh!
Tja, auch hier ist keine Verbindung des Titels zu einer musikalischen Höhlenführung zu sehen. Auch eine Verbindung zwischen Text und Musik besteht nicht.
Müssen wir nun das Bild einer in Stein gemeißelten Bäckerfigur unter Tage, zu dessen Füßen die Aufschrift "Einer Meiner" prangt, bemühen, um das Lied verständlich zu machen?
Wohl kaum, denn welch Wunder ist es, daß sich bei so wenig Gemeinsamkeit zwischen den Bestandteilen am Ende, im Ohr des Hörers, trotzdem schlichtweg ein schönes Lied ergibt.
Es mag daran liegen, daß alles, was diese Band anfaßt, letztlich einfach zu Grott wird.
[Hans]
Hörprobe? →gliedkuchen.myownmusic.de
Einer Meiner(Musik und Text von Gliedkuchen) Ein Späher stand am Wegesrand und suchte nach dem Bösen,
Späh Späher, Späher späh,
Der Bäcker formt die Brötchen fein und will sie alsbald backen,
Back Bäcker, Bäcker back,
Der Bäcker backt, der Späher späht so könnts wohl ewig bleiben,
Wirt bewirte, bewirte Wirt,
Wohlan denn Bäcker, Späher, Wirt,
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