Vae Victis,
Gedanken zum Thema Telephon


"Die Installierung eines Telefons bedeutete zweifellos das Ende seiner Studie und überhaupt das Ende, er wisse, was er sage."

Thomas Bernhard, Das Kalkwerk (1970)


"There will, I think, be telephones in Hell."

Kyril Bonfiglioli, Something Nasty in the Woodshed (1976)


"Telephone, n. An invention of the devil which abrogates some of the advantages of making a disagreeable person keep his distance."

Ambrose Bierce, The Devil's Dictionary (1911)


"[Es ist noch zu] früh, um über den Zeitgeist zu reden und über das Gezücht der Anschmiegsamen, ich brauche vorher noch einige Gläser, und Sie können den Grad meiner Einschüchterung sowohl daran ermessen als auch daran, daß ich auf dieser schönen Terrasse, seit wir hier sitzen, kein einziges Mal die Stirn gerunzelt habe, obwohl doch während dieser Zeit, ich habe es gezählt, nicht weniger als vierzehnmal ein Handy piepste oder zirpte und so weiter, [...]."

"Vermarktet wird bekanntlich alles, und inmitten des tobenden Umschlagplatzes, auf dem sich inzwischen fast jeder und jede als ein Markenprodukt präsentiert, das die anderen überflügeln und ausstechen muß - inmitten dieses Schlachtfeldes, sage ich, fühlt sich der einzelne, sofern er noch fühlt, ein wenig überfordert und ziemlich sehr vereinzelt. Nun kommt das Segensreiche: Der Markt läßt seine Opfer nicht im Stich, er zeigt Verantwortung. Dem Leeren bietet er, nicht gratis freilich, Unterhaltung an, dem Überforderten ein Antistreßprogramm plus Ginsengkapseln und dem Vereinzelten ein Handy. Ist das nicht rührend? Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich die Welt aufgrund der Handys hasse? An Ihrer Unterstellung, Herr Clarin, ist trotzdem nicht alles falsch. Es stimmt, ich habe vor einigen Jahren, als der besagte Aufschwung begann, das Handy als Alptraum empfunden, als lästige Erscheinungsart des Exhibitionismus, der damals auch am Fernsehschirm Furore zu machen begann. Ich habe meinen Aberwillen mit vielen Menschen, die ich schätzte, geteilt, und ich schätze sie nach wie vor, auch wenn es heute aus ihren Hand- und Jackentaschen dudelt. Kritik allerdings empfiehlt sich jetzt nicht mehr, es sei denn, man wolle sich den Ruf einhandeln, ein unelastischer Geist zu sein."

Markus Werner, Am Hang (2004)


"Daarom kon je met Arno ook niet telefoneren: zijn retorische talent dat opbloeide in correspondentie of in lichamelijke nabijheid verschrompelde in de vervalsing van nabijheid die een telefoongesprek is, zoals de praktische gelijktijdigheid van fax en e-mail er de glans van afstand en vergane tijd aan zouden ontnemen."

Cees Nooteboom, Allerzielen (1998)


"Saul zog aus, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und fand ein Königreich. Columbus wollte den Seeweg nach Indien entdecken und entdeckte Amerika. Napoleon wollte eine Dynastie gründen und gründete einen Mythos. Der Mann, der das Telefon erfand, hatte vor, ein Bürogerät zu erfinden; und er rief uns einen Dämon ins Haus. [...]
Seit Jahren geht ein großes Kopfschütteln rund um die Welt: über die Versachlichung der Liebe, das Ende der Romantik, die Hemmungslosigkeit der Beziehungen, die "Revolution der modernen Jugend". Man hat tausend Gründe dafür gesucht und gefunden - vom Weltkrieg bis zur Koedukation, von der Kleidermode bis zum Untergang des Abendlandes. An dem wahren Schuldigen ist, soweit ich sehe, bisher jeder vorübergegangen: Es ist das Telefon. [...]
Nicht nur die Liebe hat das Telefon revolutioniert. Es hat auch auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Formen die Anarchie hergestellt. Es ist am Telefon keineswegs selbstverständlich, daß man höflich ist. Die menschliche Sitte, sich zu begrüßen, ist durchaus in Frage gestellt. [...]
Noch zweierlei verdankt das gesellige Leben dem Telefon (außer seiner völligen Auflösung). Erstens eine wundervolle neue Art der gesellschaftlichen Beleidigung: das Aufhängen. [...] Das zweite Geschenk des Telefons an die Geselligkeit ist eine eiserne Regel von wahrhaft dämonischer Paradoxie. Sie lautet: Wer telefoniert, geht vor. Es gibt kein noch so wichtiges Gespräch mehr, das nicht um jedes noch so unwichtigen Telefonanrufs willen unterbrochen würde."

Sebastian Haffner, Der Dämon in der Hörmuschel (1936), in: Das Leben der Fußgänger


"Jetzt hat doch tatsächlich eine für den Dorfarzt und den Servicemonteur erfundene mobile Telefonie wie eine Pest das weite Volk gepackt, wobei ohne Sinn und Zweck auf die doch so wertvollen Pausen in der sozialen Zeit verzichtet wird. Der Wandel scheint so radikal, dass vorausdenkendes Planen im sozialen Tun immer seltener wird."

Herbert Cerutti (Neue Zürcher Zeitung, 1.4.03)


"[...] the president of the republic [Charles de Gaulle] loathed talking on the telephone. When asked about this he said, `Why should I be summoned by a bell as though I were a drum major's horse?'"

Patrick Marnham (The Independent, 21.4.90)


"Vae Victis! An anderer Stelle haben wir einmal vorausgesagt, daß der `Mensch-Maschine-Dialog' ein böses Ende nehmen werde: eine entfesselt fiepsende Gerätschaft auf der einen, eine nervlich zerrüttete Menschheit auf der anderen Seite. Inzwischen ist es fast soweit: Jeder Versammlungsort besonders kommunikativer Menschen - sei's das Büro, sei es der IC-Großraumwagen - wird zu einer Art akustischer Vorhölle. Neulich in der Bundesbahn: Links startet Windows mit der Marseillaise (und meldet seine allgemeinen Schutzverletzungen mit einem Schwarzwälder Kuckucksruf), von vorne fiepsen die `Organizer', und aus der Gepäckablage singt ein Notebook, dessen Akku sich entleert, sein schaurig' Sterbelied. Und zwischendrin von überallher: der Erzfeind - das Telefon, seit jeher eine Menschheitsplage, ein reines Foltergerät aber, seit es 1. mobil und 2. elektronifiziert wurde und sich nicht mehr mittels klingender Glocken bemerklich macht, sondern mit wiehernden, wimmernden, jaulenden, heulenden, fiepsenden, quietschenden Chips. Die Welt ist Klang, so lehrt uns Joachim-Ernst Berendt am Beispiel tiebetanischer Obertöne und sonorer Buckelwalgesänge. Die Welt wird Mißklang, müßte er hinzufügen, spätestens nachdem er statt Himalaja und Meeresboden mal das Foyer eines `Business-Hotels' aufgesucht hat. Inzwischen mehrt sich indes die Zahl derjenigen, die jedenfalls in ihrer Privatsphäre das elektronische Gejaule nicht länger dulden und ertragen wollen; sie versammeln sich mit Gleichgesinnten unter der Fahne `In diesem Hause keinen Chip'. Der Kampf ist hart [...]."

Manufactum Katalog Nr. 13


"Allen Empfindenden, meinte Schopenhauer schon um 1860, sei der Lärm die schlimmste aller Plagen, und als den `unverantwortlichsten und schändlichsten Lärm' hat er in seinen `Parerga und Paralipomena' das `wahrhaft infernale Peitschenknallen' der Fuhrknechte angeprangert: `Nichts gibt mir vom Stumpfsinn und der Gedankenlosigkeit der Menschen einen so deutlichen Begriff wie das Erlaubtsein des Peitschenknallens.' Das Peitschenknallen hat sich seither stark gemindert, ist dabei aber vom Walkman-Hören, vom `Car-Hifi', von benzinbetriebenen Rasenmähern, Open-Air-Konzerten und Mobiltelefonen dezibelmäßig weit überkompensiert worden."

Thomas Hoof, Längst überfällig! Das elfte und noch mehr Gebote (Frühjahr 1997), in: Nebenbei und obendrein (2008)


"The will to record indelibly, to set down stories in permanent words, seems to me akin to the conviction that we are larger than our biologies. I wonder if our current cultural susceptibility to the charms of materialism - our increasing willingness to see psychology as chemical, identity as genetic, and behavior as the product of bygone exigencies of human evolution - isn't intimately related to the postmodern resurgence of the oral and the eclipse of the written: our incessant telephoning, our ephemeral e-mailing, our steadfast devotion to the flickering tube."

Jonathan Franzen, My father's brain (2001), in: How To Be Alone


"Walking up Third Avenue on a Saturday night, I feel bereft. All around me, attractive young people are hunched over their StarTacs and Nokias with preoccupied expressions, as if probing a sore tooth, or adjusting a hearing aid, or squeezing a pulled muscle; personal technology has begun to look like a personal handicap. All I really want from a sidewalk is that people see me and let themselves be seen, but even this modest ideal is thwarted by cell-phone users with their unwelcome privacy."

Jonathan Franzen, Imperial bedroom (1998), in: How To Be Alone


"Kein Zweifel: Die heutige Allgegenwart des Telefons ist ein Segen - für den Kanuten, dem mitten auf dem Bodensee das Paddel über Bord ging, oder den Drachenflieger, der im Wipfel einer 30-Meter-Eiche notgelandet ist. Unter fast allen anderen Umständen wird das Telefon indes zu einer Plage für Leib, Geist und Seele, die es, alle drei und nacheinander, mit der Schrillheit seiner Töne, der Umständlichkeit seiner Bedienung und der Banalität des Mitgeteilten martert - und überdies mit hochfrequenter Strahlung perforiert."

Manufactum Katalog Nr. 22


"... und beide weigerten wir uns, Handys zu benutzen, ein Instrument der Belagerung."

Javier Marías, Dein Gesicht morgen


"I would add two more definitions [of middle age] of my own; first, thinking that anyone who rings you up after 7pm is very likely to be a loony and thus the phone is best unanswered, and secondly, being so thrilled when a social engagement is cancelled by the other person that you do a lap of honour through your flat, singing `We Are The Champions' to your frankly appalled cat."

Julie Burchill, Rezension von M. Berkmann, A Shed of One's Own: Midlife Without the Crisis, in: Prospect, Jan. 2012


"Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist das Telefon."

Hanns U. Christen, Basler Bilderbogen (Nebelspalter, 29.11.77) [in einem Artikel über Leif Geiges und sein "Basler Mosaik"]


H. Geiges, 9.2.05